Moses III
"Ich versteh dich
nicht!" Mel schaute missmutig zu Luzifer. "Erst
verführst du Moses sich gegen seinen Bruder aufzulehnen und
lässt ihn im Glauben, er handle im Sinne Gottes und dann
..." Mel konnte nicht weiter sprechen. Sie war - mal wieder
- von ihm enttäuscht, tief enttäuscht. Wie konnte er auch an
dem süßen unschuldigen Moses die Lust verlieren. Schon seit
Tagen schien ihn nicht das Geringste über Moses zu
interessieren. Das wurmte Mel gewaltig. Sie konnte an diesem
Punkt nicht aufhören: ohne Luzifer und ihre Hilfe wäre Moses
ohne Chance. "Also, hilfst du Moses jetzt endlich?"
Träge drehte sich Luzifer zu Mel um.
"Nein, ich glaube der Arme wird auch ohne mich gut zurecht
kommen." Mit einem Grinsen sah er in Mels schockierte Augen.
"Oh Mel," lockte er sie, "ich mein das doch nicht
böse. Ich bin nur zu beschäftigt. Ich werde demnächst Besuch
von einem alten Bekannten bekommen und kann mich jetzt nicht mit
einem sterblichen Ziegenhirten befassen. Wenn du so viel Wert auf
das Gelingen von Moses' Aufgabe legst, hilf du ihm doch. Ich
gewähre dir völlige Freiheit, nur störe mich nicht."
"Es war doch deine Idee!" beschuldigte Mel ihn
störisch. "Warum kannst du nicht zu Ende bringen, was du
angefangen hast? Aber da du ja lieber deinem Vergnügen
nachjagst, werde ich mich um Moses ein bisschen kümmer, aber ich
warne dich," Mel baute sich vor Luzifer auf, "ich werde
deine Launen nicht immer ertragen. Du solltest endlich mal etwas
Verantwortung lernen!" Damit rauschte sie vor dem verdutzten
Luzifer davon.
Er blieb sprachlos in der kleinen Gasse der ägyptischen
Sklavenstadt stehen und fragte si ch zum hundertsten Mal, wie er
es nur mit diesem Wildfang aushalten konnte. Aber schnell
wanderten seine Gedanken wieder zu seinem geflügelten Problem.
Vor Azrael und Mel hatte er das bevorstehende Aufeinandertreffen
mit Michael herunter gespielt, aber inn erlich war ihm mulmig
zumute. Immerhin galt Michael als der geschickteste Kämpfer im
Himmel, auch wenn er nicht ganz so intelligent wie Gabriel war.
Luzifer erwartete seinen Gegner im Laufe des Tages anzutreffen,
also wäre es jetzt wohl angebracht sich ein en Plan auszudenken.
Wie konnte er einem Kampf ausweichen ohne seine Ehre als
Bösewicht zu verlieren? Luzifer musste unbedingt etwas
einfallen.
Mel zog es wieder zu Moses. Der
Arme wusste gar nicht wie ihm geschah. Erst bekam er eine Abfuhr
beim Pharao und jetzt glaubte ihm niemand aus seinem Volk.
Sie schaute ihn mitleidig an. Jetzt war ein weiteres Wunder
nötig um ihm den Glauben der Hebräer zu sichern. Also, wie
sollte sie das anstellen? Mel musste unbedingt etwas einfallen.
Derweil versuchte eine vermummte Gestalt auf dem Marktplatz die
verlangte Seife für Gabriela zu ergattern. Das war gar nicht so
einfach, wie Michael es sich vorgestellt hatte. Früher hatte
Luzifer diesen Job erledigt, aber nun, wo er selbst einmal diese
tr iviale Aufgabe erledigen musste, stellt es sich als
undurchführbar heraus. Das IHM so etwas passieren kann, dass war
undenkbar. Er beherrschte ganze Armeen von Engel und führte
diese, wenn nötig, in den Kampf. Wie konnte er dann beim Kauf
von Seife versage n? Michael musste unbedingt etwas einfallen.
Der Tag neigte sich dem Ende und
die Moses Situation hatte sich keinen Deut verbessert. Was konnte
Mel nur tun? Sie schaute gedankenverloren auf den Nil. Die
Schiffe zogen träge im Sonnenuntergang dahin. Auch das Schiff
des Pharao dümpelte vorbei.
"Jetzt wäre die richtige Zeit für ein wenig
Zauberei." Mel zuckte zusammen, sie hatte den Engel nicht
kommen gehört und nun stand er so nah hinter ihr, seine dunklen
Flügel hüllten sie ein und legten sich wie ein Umhang um ihren
Körper.
Die Berührung jagte ihr einen warmen Schauer über den Rücken.
Das Gefühl war nicht unangenehm, aber sie spürte die Kälte,
die vom Engel ausgehen konnte. Sie seufzte und schmiegte sich eng
an den Engel "Ich weiß, Azrael, aber mir fällt absolut
nichts ein" Sanfte Arme umschlossen Mel und Azrael, der
derzeitig sprichwörtlich im siebten Himmel schwebte, erzählte
ihr mit seiner melodischen Stimme das traurige Schicksal der
hebräischen Babys vor so vielen Jahren. Vielleicht brachte diese
Schandtat des Pharao Mel auf einen Gedanken, aber selbst wenn
nicht, Azrael hatte, nur für Minuten, sein Ziel erreicht. Seine
geliebte Mel lag in seinen Armen. Er seufzte verliebt. Mel
dagegen spürte, dass Azrael etwas bedrückte. Plötzlich kam ihr
der Gedanke, dass er wahrscheinlich viel Ärger bekommen würde,
weil er der Gegenseite mal wieder geholfen hatte. Sie drehte sich
in seiner Umarmung Azrael zu und schaute in die nachtblauen
Augen, die sie so traurig anblickten. Lächelnd strich sie dem
Engel über die Wange. "Ich danke dir für die Information.
Wenn ich mich beeile, kann ich vielleicht sogar noch etwas
bewirken. Aber mein lieber Azrael, wirst du wegen mir großen
Ärger bekommen?" Azrael lächelte auf sie herab.
"Ich werde es verkraften können. Mach dir keine Gedanken
darüber." Verzückt über seine Selbstlosigkeit küsste Mel
den verduzten Engel. Azrael erholte sich aber schnell und
erwiderte ihren Kuss mit einer Heftigkeit, die Mel nie erahnt
hatte - liebte er sie so sehr? Atemlos löste sie ihre Lippen von
den seinen. Dann löste sie sanft auch seine Umarmung und lief in
Moses Richtung. Als sie zurückblickte, war Azrael schon wieder
fort. Mel lief schnell weiter. Bei Moses angekommen schaute sie
sich suchend nach dem Schiff des Pharao um. Sie entdeckte es nur
ein wenig flussabwärts. Schnell gab sie Moses den Gedanken ein,
noch einmal die Macht Gottes zu beweisen. Dieser ließ sich in
seiner Verzweiflung leicht führen und er trat ans Ufer des Nils.
Als dieser die ersten Schritte im Wasser tat, ließ Mel ihrer
Kraft freien Lauf. Sie baute den Zauber auf und es klappt alles
perfekt. Luzifer würde stolz auf sie sein. Das Flusswasser
färbte sich langsam rot und während die Menschen über die
angebliche Macht Gottes staunten, v ersuchten die ägyptischen
Priester ihr Wunder nachzuahmen. Mel amüsierte sich über diese
plumpen Versuche. Sie müssten sich schon Luzifer anschließen,
um wirklich etwas gleichwertiges zu erschaffen. Moses derweil
ergriff maßloses Vertrauen in Gott und lang sam glaubte er an
seine Mission. Er war scheinbar wirklich dazu berufen, sein Volk
zu befreien. Mit neuem Selbstvertrauen kehrte er zu seinem Volk
zurück. Ihre Gesichter zeugten von Ehrfurcht und Vertrauen in
ihn. Endlich nahmen sie ihn in ihre Mitte auf.
Am Rande beobachtete eine Frau mit goldenen Haaren die Szene.
Befriedigt lächelte sie vor sich hin. Mal sehen, was als
nächstes in dieser Sache geschehen wird. Aber bis dahin würde
sie sich ein kleines Abenteuer gönnen. Sie ging mit leichten
Schritten in R ichtung Palast. Der Pharao ist bestimmt ein
fähiger Liebhaber und ein wenig Ablenkung täte ihr gut.
"Wird Azrael zur Rechenschaft
gezogen werden?"
"Nein."
"Warum nicht?"
"Weil ich ihm freie Hand gewährt habe."
"Warum weiß ich davon nichts?"
"Meine Liebe, du musst nicht immer alles wissen."
" ..."
© 2002 by Diana Eschler