Moses II
Der Saal war an Prunk kaum zu
überbieten. Überall schwelgten die Palastbewohner in Dekadenz
und Glamour und genossen den Tag. Der Pharao, auf seinem goldenen
Thron, beobachtete das bunte Treiben gelangweilt. Er hatte soviel
erreicht, er überragte seinen Vater in seinen Ruhm und trotzdem
war er nicht zufrieden. Was fehlte ihm nur? Plötzlich sah er
etwas Ungewöhnliches in der Menge. Ein blonder Schopf hob sich
in der Menge seiner Untertanen ab. Und der Körper, der dazu
gehörte war noch atemberaubender. Eine enge Tunika schmeichelte
der schlanken Figur und dezenter Schmuck umrahmte das Gesicht
einer Göttin. Gerade als er sich erheben wollte, um sie kennen
zu lernen, verstummte die Menge und bildete eine Gasse. Erstaunt
blieb er sitzen. Was sollte das nun wieder?
Nun war er doch zurückgekehrt. Moses schritt in den Thronsaal,
aber das sichere Auftreten war nur gespielt. Seine Knie zitterten
und am liebsten wäre er wieder umgekehrt. Doch Gott hatte ihn
erwählt und er musste die Prüfung bestehen. Während er so zum
Thron schritt, nahm er die so bekannten Eindrücke des Hofes in
sich auf. Doch nun schien ihm, was er einst als
selbstverständlich sah, als pure Verschwendung, die sich auf die
Leben seines Volkes stützten. Plötzlich sah er eine Fremde in
der Masse, sie sah aus wie ein Engel und lächelte ihn an. Hatte
Gott sie geschickt um ihm Mut zuzusprechen? Wenn ja, dann hat es
geklappt. Gestärkt wandte er sich dem Thron zu.
"Musste das sein?"
"Natürlich, ansonsten würde Moses heute versagen."
Mel drehte sich zu Luzifer um. Seine Hofkleidung stand ihm
ausgezeichnet und war eine willkommene Abwechslung zu seinem
verlausten Hosen. Sie lächelte ihn zuckersüß an. "Meinst
du nicht wir sollten dein Spiel etwas länger spielen? Ich komme
gerade auf den Geschmack." Bittend lehnte sie sich an
Luzifer und sah unschul-dig zu ihm auf. Die Geste hatte schon in
der Schenke im Dorf ge-wirkt und auch heute verfehlte sie nicht
ihre Wirkung. "Sieh doch, jetzt fangen die beiden wieder zu
strei-ten an." Gemeint waren der Pharao und Moses. Da Moses
ohne diplomatisches Geschick sofort die Herausgabe seines Volkes
verlang-te, verweigerte sie der Pharao ohne darüber
nachzudenken. Was beide Sturköpfe dazu brachte sich einiges an
den Kopf zu werfen. Luzifer lieb-te solche Dispute, sie zeigten
den wahren Charakter der Menschen - er war verdorben und daher
nur für ihn geeignet - Gott war mit seiner Vergebungsmasche viel
zu nachgiebig.
Der Streit spitzte sich derweil zu und Moses' Argument, dass er
im Namen Gottes die Herausgabe forderte, nutzte ihm wenig.
"Lass sie einen Beweis verlangen!" Mel schaute Luzifer
an. Nach kur-zem Überlegen nickte dieser und rief in den Raum,
dass Moses erst einmal die Macht seines Gottes zei-gen solle. Das
fand soviel Anklang, dass kurze Zeit später der ganze Hof danach
rief. Für die gelangweilten Ägypter war dieses Spektakel eine
wundervolle Abwechslung. Der Pharao ließ den Wunsch gewähren
und die Priester traten hervor.
"Erschauere vor der Macht Horus!" Und sie wedelten mit
ihren Weihrauchschalen und Bändern. Mel fing zu kichern an.
Diese sogenannten Diener der Götter waren alle Scharlatane. Doch
plötzlich entstand aus einer der Wolken eine Schlange. Hoch
erhobenen Hauptes schlängelte sie sich auf Moses zu. Der war
starr vor Staunen - genauso wie die Priester. Mit offenen
Mündern starrten sie der Schlange nach.
"Das ist gemein Lu," meinte Mel, "du schummelst
und hilfst ihnen!" Zum Tadel kräuselte sie ihre Stupsnase.
"Warum hilfst du dann nicht Mo-ses? Mal sehen welche
Schlange besser ist!" Ohne diesen unver-schämten Worten zu
antworten, ließ Mel den Stab Moses weich werden. Er ringelte
sich am Boden angekommen zusammen und ent-wirrte sich als eine
vollkommene Schlange von solcher Schönheit. Luzifer war
beeindruckt. "OK. Deine ist hübscher. Was soll's. Kannst du
Moses nun endlich zum Schluss bringen? Ich habe heute noch eine
Verabredung." Mel knirschte mit den Zähnen.
Im Thronsaal hatten sich die Menschen wieder gefangen.
"Das nennst du Macht?" Fragte der Pharao. "Du
musst schon mit etwas Besserem kommen als mit diesen
Taschenspielertricks. Ich werde die Hebräer nicht gehen lassen
und das ist mein letztes Wort. Und nun, geh mir aus den Augen,
denn wenn wir uns das nächste Mal sehen, werde ich vergessen,
dass wir ge-meinsam aufgewachsen sind und dich töten
lassen." Damit wedelte er mit seiner Hand, als ob er ein
lästiges Tier verscheuchen wolle. Moses drehte sich um und ging,
aber an der Pforte rief er, "Mein Gott wird dich strafen und
plagen bis du mein Volk gehen lassen musst!" Dann ging er
endlich.
"War das dein Werk?" Luzifer hakte sich unter Mel und
sah sie fragend an. "Ich glaube kaum, dass das mit den
Plagen auf seinem Mist gewachsen ist - obwohl mir der Gedanke
gefällt." Mel lächelte nur dazu. Dann gingen sie beide und
ließen den verwirrten Pharao mit seinem Gefolge allein.
Es gibt vor der Residenzstadt des Pharaos eine Barackenstadt,
in der die Sklaven hausen. Tod und Krankheit sind ständige
Begleiter dieses Teils. Deshalb war Luzifer auch nicht
überrascht, Azrael hier anzutreffen.
"Lange nicht gesehen, wie gehen die Geschäfte Azrael?"
"So lala. Oh Mel, du bist heute besonders hübsch. Was
treibt so eine Blüte Ägyptens in so eine schäbige
Gegend?"
"Hör auf mit meiner Dienerin zu flirten!" Luzifer
stellte sich zwischen die beiden. Mel fing wieder zu kichern an
und nach Azraels saurem Gesicht nach, passte es ihm wenig, so
abrupt unterbrochen worden zu sein.
"Nur zu deiner Information, ich bin nicht der einzige Engel
auf Erden in dieser Zeit. Sei lieber vorsichtig." Dann
starrte er kurz ins Leere und verabschiedete sich schnell. Die
Arbeit rief mal wieder.
Luzifer sah dem dahinschwin-denden Engel nach. Das ein anderer
Engel hier war, wusste er schon eine ganze Weile. Aber für Mel
musste es eine Überraschung gewesen sein.
"Weißt du wenigstens, wer es ist?" Sollte er ihr
seinen Namen nennen? Michael war für ihn nicht gefährlich - zu
wenig Hirn - aber er hatte Mel so einiges von ihm erzählt.
Nicht, dass sie noch meint, der Kerl wäre gefährlich und ihn zu
schützen versucht. Er fragte sich, ob sie das wirklich tun
würde.
"Sein Name ist Michael, ein Erzengel." Mel zischte bei
dem Namen, aber dann wandte sie sich achselzuckend ab.
"Lass ihn am Leben, ja? Vielleicht ist er irgendwann von
Nutzen." Dann ging sie in Richtung Stadt, drehte sich aber
nach wenigen Schritten noch einmal um. "Ich werde mich um
Moses kümmern, solange du beschäftigt bist. Falls ich Hilfe
brauch, rufe ich dich!" Dann ging sie.
Luzifer schaute ihr nach. Sie hatte ganz anders reagiert, als er
erwartet hatte. Aber bedeutete es nicht auch, dass sie ihm
vertraute? Jedenfalls musste er sich jetzt Michael entledigen. Im
fiel auch schon ein Plan ein, um ihn dorthin zu schicken, wo er
hingehörte - da, wo der Pfeffer wächst!
"Es werden viele Seelen leiden. Sollten wir nicht
eingreifen?"
"Nein, noch ist die Zeit nicht reif."
"Und die Sache mit Luzifer und Michael?"
"Lass sie gewähren, wenn sie sich ausgetobt haben, werden
sie zur Vernunft kommen."
"Wisst ihr dass, oder hofft ihr das nur?"
" ..."
© 2001 by Diana Eschler