Luzifer IV
Mel kehrte
wieder zur großen Höhle zurück und blieb verwundert am Eingang stehen. Sie verstand
einfach nicht, was Luzifer tat. Er konnte mit seinen Händen töten und auf sein
Wort hin veränderten sich die Dinge.
Aber warum stand er auf den Sitzsteinen und brachte ein Seil an der Decke an?
Lässig sah Mel ihm zu wie er aus dem Seil eine Schlinge formte, doch als er
seinen Kopf durch die Schlinge steckte, wurde ihr mulmig zumute. Er wird sich
doch nicht umbringen wollen! Luzifer sprang von der Bank und die Schlinge zog
sich um seinen Hals. Mel rannte auf ihn zu.
"Wie könnt Ihr Euch nur selbst ermorden?" Luzifer strampelte mit den Beinen
um sie auf Abstand zu halten, doch Mel schaffte es seine Beine zu umklammern
und ihn halbwegs zu stützen. "Lass los Mel oder ich werde dich bestrafen!" "Eure
Drohung nutzt Euch nichts, wenn ihr tot seid." Plötzlich tauchte neben den beiden
ein junger Mann aus einem schillernden Licht. Er breitete seine tiefblauen Flügel
aus, setzte mit seiner Waffe an und schlug zu. Mel schloß verzweifelt die Augen
und wendete den Kopf.
Dann sackte Luzifers Körper nach unten und riss sie mit zu Boden. - Jetzt wurde
Luzifer geköpft! Tränen quollen aus Mels Augen. Sie war doch gerade dabei gewesen
sich zu verlieben, warum hatte sie bloß so ein Pech mit ihren Liebschaften?
"Du hättest ruhig früher kommen können!" Mel schaute sich um. Luzifer, dessen
Worte sie gerade gehört hatte, war nicht tot. Er saß neben ihr auf dem Boden
und nahm die Schling mit dem zerfetzten Ende vom Hals. Die Waffe hatte das Seil
zerschnitten und nicht Luzifers Hals. Überglücklich umarmte sie Luzifer. "Du
bist nicht tot, du lebst! Gott sei Dank!" Luzifer löste sich von ihr und betrachtete
sie. "Danke nicht Gott sondern Azrael und seid wann sind wir per du?" Mel errötete
leicht und senkte die Augen. "Was willst du Luzifer, du siezt sie ja auch nicht,
warum sollte sie also?" mischte sich Azrael ein. Luzifer bedachte ihn mit einem
bösen Blick und wandte sich wieder Mel zu. "OK. Du kannst mich duzen. Würdest
du jetzt aber so lieb sein und unser neues Heim einrichten? Lass Azrael und
mich allein!" Mel gehorchte sofort. Ihr war schwindlig. Er war so... so nett
und... sie hatte sich verliebt.
Auf Wolken schwebend verließ sie die Höhle. Luzifer und Azrael sahen ihr nach.
"Hübsch, du hattest schon immer Glück mit dem weiblichen Geschlecht, was Luzifer?"
Luzifer wandte sich zu Azrael um. "Mag sein." Sagte er unbestimmt und beide
dachten sie an die gleiche Person, die wohlbehütet von Bruder Gabriel im Himmel
lebte. "Jetzt aber zur Sache Luzifer. Warum wolltest du mich sprechen. Du weißt
ich habe noch mehr zu tun als dich vor Dummheiten zu bewahren." Luzifer lächelte
und holte ein Würfelspiel hervor. "Lass uns zusammen ein Würfelspiel machen
wie früher." Sofort war Azrael interessiert. Er war ein sehr pflichtbewusster
Engel mit einer Ausnahme: Er spielte leidenschaftlich gerne. "Und damit es interessant
wird, spielen wir mit Einsätzen. Ich setze meine Dienerin Mel. Du findest sie
doch schön, oder?" Azrael überlegte, sollte er oder nicht? Die Kleine war wirklich
hübsch und mit seiner Aufgabe war es schwer eine Freundin zu finden. "OK!" stimmte
Azrael zaghaft zu.
Nun, Azrael hatte Luzifers Köder gefressen. Jetzt musste er die Falle nur zuschnappen
lassen und er hatte endlich seine Seelen. "Wenn ich mit dir spiele, möchte ich
aber, dass du die schlechten Seelen als Wetteinsatz nimmst!" Azrael sah ihn
skeptisch an. Was sollte das jetzt? "Aber die Seelen gehören Gott. Jeder Mensch
kommt in den Himmel, weil Gott es so wollte." Luzifer fasste sich theatralisch
an die Schläfen und schaute Azrael an. "Verstehst du denn nicht Azrael? Wenn
jeder in den Himmel kommt, werden seine Sünden doch nicht bestraft. Sieh doch
ein, dass wenn die Menschen böse sind, auch ihre Seelen böse und schlecht werden.
Im Himmel wird es dann von diesen nur so wimmeln."
Er legte eine Pause ein um seine Gedanken wirken zu lassen. "Ich dagegen habe
nicht nur Platz, sondern kann sie auch für ihre Sünden bestrafen. Glaub mir,
Gott wird dir dankbar sein!" Azrael dachte über seine Worte nach. Eigentlich
hatte er ja Recht und Gott wird ihm sogar dankbar sein, wenn er alle schlechten
Seelen Luzifer überließ und den Menschen einen Ansporn gab sich zu bessern.
So begannen die beiden zu würfeln. Zuerst hatte Mel noch versucht, die Steine,
die ihr im Weg lagen, zu bewegen, aber es klappte einfach nicht. Sie hatte nichts
um es hier angenehmer zu gestalten. Niedergeschlagen setzte sie sich auf den
Boden. Der war warm und sie war vom schweren Aufstieg müde, sie wurde immer
müder. Die Wärme kroch ihre schweren Glieder hoch und sie konnte zum Schluss
nicht einmal mehr die Augen offen halten ... Mel wachte langsam wieder auf.
Wie lange hatte sie geschlafen? Noch immer benommen stand sie auf. Die ihr auferlegte
Arbeit hatte sie nicht erledigt, aber sie brauchte ja auch Hilfe dazu. Entschlossen
ging sie wieder in die große Höhle. Dort fand sie einen strahlenden Luzifer
und einen niedergeschlagenen Azrael. Wie Luzifer ihr erklärte als sie hinzu
trat, hatten Azrael und er gewettet und er gewann gerade. Was er gesetzt hatte,
verschwieg er ihr. "Lass uns aufhören.
Musst du dich nicht wieder um die Sterbenden Seelen kümmern?" Luzifer packte
die Würfel ein und stand auf. "Du weißt ja was du tun musst, ab jetzt!" Azrael
nickte unglücklich. Warum gewann Luzifer immer und niemals er? Dann wandte er
sich um und nahm seine Waffe um zu verschwinden. "Wer war er überhaupt?" Mel
schaute Luzifer an. "Der Todesengel.", erklärte dieser knapp, "Er beendet die
Leiden der Menschen durch den Tod und ab jetzt schickt er alle schlechten Seelen
zu uns." Mel starrte ihn ratlos an. "Ich verstehe nicht ..." "Ich werde es dir
gerne von Anfang an erklären. Aber zuerst ein paar Regeln." Mel sah ihn erwartungsvoll
an. "Erstens,", begann Luzifer, "dies ist ab jetzt dein Zuhause. Du bist dafür
verantwortlich und auch für seine restlichen Bewohner." Melissa senkte den Kopf
und warf zaghaft ein, dass sie dazu nicht fähig sei. "Warum nicht?" Luzifer
verstand nicht was so schwer daran sein sollte. "Na, weil ihr ... ihr könnt
zaubern und ich ... ich kann gar nichts. Ich kann noch nicht einmal die Höhle
einrichten, weil keine Materialien vorhanden sind und ich nirgends ankomme.
Es ist alles eine Nummer zu groß für mich."
"Na toll, Minderwertigkeits-komplexe kann ich nicht gebrauchen.", stöhnte Luzifer
gequält. "Dann musst du eben auch zaubern lernen. Eigentlich müsstest du es
sowieso können. Jeder kann es. Einer besser als andere, aber magische Kräfte
besitzt jeder." Glaubte er jedenfalls und Luzifer hoffte, dass er Recht behalten
würde. "Ich nicht!" "Nun, jetzt kannst du es, denn ich verleihe sie dir." Er
hoffte der Trick funktioniert bei seiner Dienerin. Der Glaube, so sagte einst
Gott zu ihm, kann Berge versetzen. Vielleicht konnte Mel dann ihre eigene Kraft
aktivieren und das Thema wäre abgeharkt. Mel spürte nichts. Doch Luzifer forderte
sie mit einer Geste auf es zu versuchen. Also breitete sie die Arme aus, schloss
die Augen und konzentrierte sich. "Ich wünsche, dass an den Wänden rote Stoffe
hängen." Dazu schlug sie die Hände zusammen und öffnete die Augen. Luzifer hätte
weniger Aufwand betrieben, aber das war Geschmackssache. Plötzlich fing die
Höhle in einer Ecke an zu glitzern und ihr Wunsch wurde erfüllt. Von der Ecke
aus breitete sich der rote Stoff immer mehr aus und verdeckte die nackten Wände.
Im regelmäßigen Abstand wurden die Wandstoffe von kunstvollen Kränzen gehalten.
Mel konnte es nicht fassen. Sie hatte das alles geschafft und es war so einfach.
Stolz drehte sie sich um. "Ich bin beeindruckt, Mel, in dir steckt eine künstlerische
Ader. Kommen wir zur zweiten Regel: Du bist jetzt Mel, meine erste Seele. Melissa
existiert nicht mehr." Mel nickte. Sie würde bei ihm zu allem ja und amen sagen,
wenn er es wünschte. "Drittens, ich werde dich später wieder verlassen." Mel
wollte protestieren, aber Luzifer hielt sie auf und erklärte ihr seinen Plan.
Die Seelen der Toten reichten ihm eben nicht. Er wollte auch die der Lebenden
sichern. Dazu musste er sie aber überreden oder überlisten, aber das ging nur
wenn er unter ihnen weilte. "Ich verstehe. Du wirst dich oben amüsieren und
ich muss auf die Seelen hier unten aufpassen. Aber du kommst doch wieder?" Hoffnungsvoll
schaute Mel zu Luzifer. "Natürlich, ich besuche dich und verspreche dir, dass
ich das nächste Mal dir eine Hilfe mitbringe." Dann forderte er Mel auf sich
zu setzen und erzählte ihr seine Geschichte von Anfang an. Nachdem alle ihre
Fragen beantwortet waren, ging Luzifer und ließ Mel allein. Die ersten Seelen
trafen in der Höhle ein. Die Arbeit begann mit dem neuen Tag.
© 2000 by Diana Eschler