Luzifer II

Nacht brach herein und die ersten Sterne leuchteten am wolkenlosen Himmel auf. Ein frischer Wind zog durchs Land und ließ die Fensterläden klappern. Dort draußen war es kalt; in der Schenke am Wegrand war es aber heiß, da diese wie immer gut besucht war und sich im kleinen Schankraum genug Gäste drängten. Melissa schwitzte fürchterlich, was sie aber nicht abhielt mit dem groben Kerl anzubändeln.
Auch wenn ihr alles zuwider war, sowohl der Schweißgeruch der vielen Menschen gepaart mit dem typischen Geruch der Schenke, Wein und Gebratenes, wie auch ihr eigenes Leben. Sie musste das durchstehen, wie jeden verdammten Abend. Wie sollte sie sonst überleben ? Lieber verkaufte sie ihren Körper, als wenn sie wie die anderen Frauen auf dem Feld arbeiten müsste. Und so liebäugelte sie weiter für Wein und Brot. Schade war nur, dass die Kundschaft zu wünschen übrig ließ. Voll war das Wirtshaus, aber leider war nur dieser Bauerntölpel auf dessen Schoß sie jetzt saß geeignet.
Am Kamin spielten zwei Handvoll Männer mit Würfeln ; sie verlangten nach viel Bier, aber leider nach keiner Gesellschaft. In den dunkleren Ecken an den Seiten des Kamins hatten sich die zwei rivalisierenden Räuberbanden verschanzt und beratschlagten, ob sie eine Schlägerei mit der Gegenpartei beginnen sollte oder nicht. Auf der gegenüberliegenden Seite, dort wo auch sie saß, waren in der Ecke nahe der Tür die alten Männer des Dorfes und schwatzten über die Vergangenheit, aber diese faltigen Zwerge würde sie nicht mal mit einer Zange anfassen. Die anderen Tische waren mit jungen Gemüse besetzt, die wollten ein kleines Abenteuer, nur waren die auch ewig Pleite. Der einzige in frage Kommenden hatte sie sich schon geschnappt.
Oh, wie hoffte sie auf etwas Besseres. Das Schicksal meinte es gut mit ihr, oder auch schlecht - es war eine Frage der Interpretation, denn mit einer Windböe trat Luzifer in die erleuchtete Schenke. Erstarrt blieb er stehen, dieser Gestank. Er musterte die Anwesenden, die ihn misstrauisch anschauten. Dann verlor man allgemein das Interesse am neuen Gast. Kurz darauf wurden die Gespräche und das Spiel wieder aufgenommen. Das war also die Welt der Menschen, ein stinkendes Loch misstrauischer Langweiler.
Die Welt schien Luzifer wirklich zu brauchen, denn er würde schon für Spaß sorgen. Aber erst brauchte er einen Lehrer, um sich in diesem Exil, wo Luzifer alles neu ist, zurecht zu finden. Langsam ging er auf den einzigen freien Platz am Tresen zu. Der fremde Mann ging an Melissa vorbei. Sein Haar war schwarz und fiel in kurzen Wellen ihm ins Gesicht. Sein Oberkörper war unbedeckt und ließ einen Blick auf seinen athletischen Körper zu. Die Hose, nun Fell trug man heute nur noch als Umhang, aber er sah gut aus. Sein Gang ließ auf einen Krieger oder Söldner schließen, aber das er nur zwei Messer trug, irritierte sie. In diesen Zeiten war ein Schwert angebrachter. Dessen ungeachtet war er ein Traum von einem Mann, jung und dynamisch. Auf jeden Fall eine bessere Wahl als dieser Grobian mit dem sie jetzt zusammen war.
Der Wirt fragte den Fremden nach seinem Wunsch. Der sah ihn unentschlossen an. Als ihm der Wirt seinen teuersten Wein empfahl, nahm er ihn sofort. - Der muss ja Geld wie Heu haben! Melissa beobachtete den Neuankömmling genau. Er verhielt sich eigenartig, aber das war nicht so schlimm. Es waren jetzt mehrere auf ihn aufmerksam geworden. Verstohlen wurde er gemustert, was sollte man davon halten. Alle Augenpaare beobachteten den Mann, wie er das mit Wein gefüllte Glas an den Mund setzte und den Wein in seine Kehle laufen ließ.
Dann spuckte er alles wieder in hohen Bogen heraus. "Hast du nichts anderes? Das ist ja pures Gift!" Dröhnendes Gelächter setzte auf seinen Ausruf ein. Der Weichling vertrug keinen Tropfen Wein. Melissa stand auf, um diesem Fremden beizustehen, aber ihr grober Spender hielt sie fest. "Wo willst du hin, kleine Schlampe? Du schuldest mir noch ein kleinen Gefallen in meinem Bett!" Sie wand sich, aber er war zu stark und benebelt vom Alkohol wurde er unter ihren Beschimpfungen nur noch wütender und verlangte nach seinem Recht. "Wie könnt ihr Menschen nur dieses Gesöff trinken." Luzifers ganzer Hals brannte und er hätte gern um ein Glas Milch gebeten, aber das allgemeine Gelächter hatte ihn eingeschüchtert. Dieses Gefühl des Unterlegenen machte ihn wütend. Wie können diese unvollkommenen, sündigen Kreaturen nur über ihn lachen! Da kam ihm dieser grobe Kerl gerade Recht. Er hatte zwar keine Ahnung worum es bei der Sache mit dem Mädchen ging, aber eine Jungfrau zu retten wäre a) eine gute Tat und b) die ideale Gelegenheit seine Wut abzureagieren.
"He du Schafskopf, lass die Frau in Ruh!" Wie erwartet wendete sich dieser Bauerntölpel nun ihm zu; die Frau war vergessen. Der Betrunkene baute sich vor Luzifer auf. Hämisch schaute dieser auf Luzifer hinunter. "Wenn einer das Schaf ist, dann du. Du trägst doch schon die passenden Hosen dazu und wenn ICH mit DIR fertig bin, sorge ich dafür, dass du zu deinesgleichen gebracht wirst. In den Stall, wo du hin gehörst!" Für seine Bemerkung erntete er schallendes Gelächter. Allen war klar, dass der Fremde keine Chance hatte. So muskelös er auch aussah, gegen den um vieles größeren und wahrscheinlich stärkeren Kontrahenten war kein ankommen.
"Rede nicht soviel, bringen wir es hinter uns!" Luzifer gab sich gelassen. Innerlich brodelte es in ihm. Seine Wut steigerte sich ins unermessliche, als es unerträglich wurde, griff Luzifer an. Der Kampf, falls man es so nennen durfte, war schnell und grausam beendet. Mit bloßen Händen griff der Fremde an und, Melissa konnte es noch immer nicht glauben, er durchfuhr mit einer Hand den Körper des Gegenübers und riss dessen Herz heraus. Pochend lag es in seiner Hand und hörte erst kurz darauf auf zu zucken. - Wie brutal, effektiv, aber brutal! In der Schenke war es nun totenstill. - Denen ist wohl das Lachen vergangen, nun sie könnten ja die nächsten sein. Melissa ging langsam auf den Fremden zu. Mit ihrem Rock und dem Rest des Weines säuberte sie seine Hand so gut es ging und bedankte sich immer und immer wieder. Ihr "Retter" ließ sich alles gefallen, aber sie sah sonst keine Gefühlsregung in seinem Gesicht. Wer war dieser Mann? So fragte sie sich. Luzifer war sich nie bewusst gewesen, dass es so leicht war zu töten. Seine Flügel waren vielleicht verloren, seine Kraft aber nicht. Vielleicht ließ sich dies zu seinen Gunsten ausnutzen.
Dieses Mädchen, zweifellos keine Jungfrau und nicht so unschuldig wie im ersten Moment geglaubt, könnte ihm helfen. "Wie heißt du, Mädchen?" wandte sich Luzifer an sie. "Melissa, Herr." Sie senkte die Augen und spielte verlegen mit dem Fingern. Das musste er ihr unbedingt abgewöhnen. "Warum nennst du mich ‚Herr', Kleine?" Sie starrte ihn verständnislos an und wenn der Tote nicht in der Schenke liegen würde, wären wahrscheinlich alle wieder in Lachen ausgebrochen oder hätten wenigstens gegrinst. Luzifer war sich dessen sicher. "Nun ‚Herr' ist ein Status,", versuchte Melissa zu erklären, "der euch über mich hebt., ich Euch zum Dank verpflichtet für Eure Rettung." "Interessant, daraus ließe sich etwas machen. Wenn ich genug Untergebene habe, könnte ich eigentlich diese Welt beherrschen. Dann wäre ich auf Erden eine Persönlichkeit, vielleicht sogar gottähnlich!" murmelte Luzifer leise. Diese Vorstellung gefiel ihm irgendwie sehr gut, außerdem, wenn Gott meint er wäre eine Bedrohung, sollte er da nicht dieser Meinung nachkommen? Luzifer wandte sich wieder Melissa zu. "Wenn du mir dienen willst, dann nur mit Leib und Seele. Schwöre es!" Luzifer wusste selbst nicht genau, warum er sowas sagte, aber es schien ihm richtig. Er schaute in das zweifelnde Gesicht von Melissa, wahrscheinlich hielt sie ihn für einen verrückten Kauz, aber sie schwor es. Plötzlich bemerkte Luzifer eine neue Kraft in seinem Körper, nicht dass er stärker geworden ist, er war nur mächtiger in irgendeiner Weise. Eine Weise, die er nicht verstand, noch nicht. Aber wenn er es herausfindet, ist es vielleicht nützlich im zukünftigen Leben. Luzifer lächelte über diese Erkenntnis. Er wusste jetzt, dass er Möglichkeiten hatte, um an sein Ziel zu kommen.
"Lass uns gehen, Mel!" Er schritt auf die Tür zu und drehte sich auf halben Weg nochmals um. "Warum kommst du nicht?" Melissa stand verschüchtert an der Theke. "Herr, mein Name ist Melissa..." "Das weiß ich,", fiel ihr Luzifer ins Wort, "aber er ist mir zu lang. Und nun komm endlich." Melissa ging ihm nach. Die restlichen Besucher der Schenke atmeten auf. Als die beiden durch die Tür schritten, zögerte Melissa abermals. Luzifer drehte sich genervt um. Menschen sind wirklich schwierig! "Was jetzt?" "Herr,", fing Melissa schüchtern an, "Wie ist Euer Name?" Luzifer sah sie lange an. Sollte er seinen Namen beibehalten oder nicht? "Früher trug ich den Namen ‚Luzifer', aber du kannst mich auch ‚Teufel' oder anders nennen. Such dir etwas aus." Dann ging er in die Nacht hinein und Melissa beeilte sich ihm zu folgen.

© 2000 by Diana Eschler