Luzifer I

"Mir ist kalt!" Luzifer hockte, die Arme eng um seinen Körper geschlungen, auf einer Wolke. Musste sich Gott unbedingt den Himmel als Aufenthaltsort aussuchen? Er bevorzugte ein wohlig warmes Plätzchen, möglichst nahe des Ortes, der in ferner Zukunft Äquator heißt, aber das Erdinnere würde es auch tun, dort ist es wenigstens höllisch heiß.
Unter diesen warmen Gedanken entspannte sich Luzifer,ja, eine warme Höhle mit Fußboden-heizung und Warmwasser ... ein kalter Windzug holte ihn in die Wirklichkeit zurück. "Mir werden noch mal alle Finger abfrieren." Sorgfältig untersuchte er die Fingerspitzen. "Sind sie schon blau? Nein, genauso rot wie noch vor fünf Minuten." "Na, was ist so besonderes an deinen Fingern?"
Erschreckt sah Luzifer sich um. Hinter ihm stand leicht gebeugt in vollendeter Schönheit ein Engel. Ihr Haar umrandete locker das makellose Gesicht mit den weichen rehbraunen Augen, die IHN anlächelten. Genauso wie ihr zarter Mund es tat. Wie immer, wenn er in dieses Antlitz blickte, war sein Bauch das Urlaubsziel tausender Schmetterlinge. Gabriela hatte für Luzifer nur einen Makel. Sie war die Schwester vom Erzengel Gabriel mit dem er dauernd im Klintsch lag. "Ich...äh...ich, also ich..." Luzifer brachte keinen zusammen-hängenden Satz heraus, er tat dies meistens wenn Gabriela in der Nähe war. - Oh Gott, ist das peinlich! Nur das dachte er meistens in ihrer Gesellschaft. Gabriela lächelte weiter: "Nun, es war wohl nicht wichtig. Übrigens, Gabriel schickt mich dir zu sagen, dass deine Späße hier aufhören müssen." Luzifers Miene verdüsterte sich, vergessen waren die Kälte und seine Sprachlosigkeit gegenüber Gabriela. "Was bildet sich Gabriel überhaupt ein? ICH nehme nur von Gott Befehle an.
Du kannst DEINEM BRUDER sagen ," sagte Luzifer, "dass er MIR nichts zu befehlen hat und wenn es mir Spaß macht andere zu ärgern, tu ich es auch weiterhin. Es macht mich nun einmal glücklich und Gott will doch jeden glücklich sehen." "Vielleicht macht es dich glücklich, andere stürzt du aber ins Verderben." Traurig schüttelte Gabriela den Kopf und schlenderte davon. "Oh diese schneeweißen Flügel, kein Engel kann sich mit ihr messen." Mit diesem Gedanken eilte ihr Luzifer nach bis er sie eingeholt hatte. Vor ihr hergehend versuchte er zu erklären: "Aber versteh doch, diese Späße sind nie böse gemeint." "Ach ja? Und wie war das mit Adam und Eva?
Es war gemein der Schlange einen Tipp zu geben, dass sie nicht widerstehen würden vom Apfel zu essen." Luzifer setzte seine unschuldigste Miene auf, wie hatte sie das nur herausgekriegt? "Ich war das nicht, EHRLICH!" Seine Beteuerungen nützten wenig. Gabriela steigerte sich nur noch mehr in die Sache hinein. "Lüge doch nicht. Du warst nur eifersüchtig, weil sie eine Seele besitzen und du nicht. Du bist so egoistisch und denkst nur an dein Glück!" Eine Pause trat ein. Luzifer war beleidigt, wie konnte sie nur so von ihm denken. Die Sache mit der Schlange stimmte zwar, aber er wollte, dass Gabriela eine höhere Meinung von ihm hatte. Gabriela dagegen war so aufgebracht über seine Lüge er sei unschuldig, dass sie explodiert wäre beim nächsten Satz. So schwiegen sie während beide durch die Wolken stapften.
Sie kamen an einen Teich, der umsäumt von exotischen Pflanzen idyllisch in der Landschaft lag. In stiller Übereinkunft setzten sie sich ans Ufer. Zarte Wellen ließen das Sonnenlicht auf dem Wasser spielen. "Es tut mir leid." Luzifer nahm ihre Hand und schaute Gabriela in die Augen. "Du hattest Recht. Ich mag es nur nicht, wenn ich unrecht habe." "Nein, nein," ,fiel Gabriela schüchtern ein, "ich... ich hätte nicht damit anfangen sollen, es tut mir leid. Dir muss es nicht leid tun." "Doch, doch, mir tut es leid!" , beharrte Luzifer. - Hilf mir mein Gott, dieser Mund, diese Lippen, ich werde noch verrückt. - Eine Pause entstand. Beide schauten sich nur an. Langsam näherten sich ihre Köpfe einander. Langsam, aber unaufhörlich kamen sie sich näher. Luzifer berührte sacht ihr Kinn mit seiner Hand und bog es zu seinem Mund hin. Millimeter trennten sie beide noch von einander. Er vergaß alles um sich herum. Sie schloss die Augen und dann stießen sich beide an die Schneide eines Schwertes die Nase. Beide schauten zum Träger des Schwertes hinauf. Wie ein Racheengel stand Gabriel neben den zwei Sitzenden. Seine langen Haare wehten im Wind, der jetzt schärfer blies als zuvor.
"Meine eigene Schwester erwische ich mit diesem Nichtsnutz?" Gabriel war außer sich, wütend schaute er auf die noch ineinander liegenden Hände. "Lass die Finger von Gabriela oder Gnade dir Gott, ich sorge persönlich dafür, das du zu dem wirst, was deinem Charakter entspricht. Du falsche Schlange!" Das war zuviel. Nicht nur das er Gabriela bevormundet, er erniedrigte ihn auch noch. Voller Hass stürzte Luzifer sich auf Gabriel. Der war von dem Angriff so überrascht, dass er sich nicht wehrte als ihn Luzifers Faust mitten ins Gesicht traf. Vom Aufprall benebelt taumelte Gabriel zurück.Doch er erholte sich schnell, sowohl vom Schreck als auch vom Schlag. Jetzt war Gabriel im Vorteil, körpertechnisch waren sie beide gleich stark, aber Gabriels Waffe war ein Schwert, während Luzifer nur seine Messer besaß. Langsam umkreisten sie sich, wartend, dass der Gegenüber seinen Angriff startet. Sie griffen gleichzeitig an. Messer gegen Schwert, Schwert gegen Messer, so klirrten ihre Waffen aufeinander. Ihre Flügel peitschten um die Körper als ob sie die Luft zerteilen wollten. Hass loderte in den Augen der Kontrahenten. Ihr Atem schnell und unregelmäßig, ihre Körper schwitzen und doch achtete keiner darauf. Beide fixierten den anderen, suchten Schwächen um sie zum eigenen Vorteil auszunutzen. Das Schwert verkeilt sich ins Messer, Flügel in Flügel. Wie eine weiße Federkugel rollen sie über den Boden bis... "Auseinander!"
Eine wütende Stimme grollte über die Landschaft und die Kämpfenden hinweg. Gabriel und Luzifer erstarrten in ihrem Kampf. Schwer atmend lösten sie sich von einander und blickten demutsvoll in die Richtung der Stimme. "Was fällt euch ein in diesem Reich des Friedens und der Harmonie zu kämpfen. Ich hätte mehr von EUCH BEIDEN erwartet!" Ein gleißendes Licht schwebte vor den beiden und färbte sich rot. Gott war wütend! "Aber mein Gebieter, Luzifer hat angefangen. Als ich ihm sagte er solle mit seinen unengelhaftem Benehmen aufhören, griff er mich an." "Lügner", brauste Luzifer auf, "du elender Speichellecker bevor-mundest mich immer und bildest dir sonst was ein." Gehässig fügte er hinzu: "Du bist ja nur sauer, dass ich jetzt die erste Geige bei deiner Schwester bin." Mit einem Wutschrei stürzte sich Gabriel wieder auf Luzifer, doch der war auf den Angriff vorbereitet. "Schluss!" Ertönte die Stimme Gottes wieder. "Zu einem Streit gehören immer zwei! Gabriel, Luzifer, ich erlaube keinen Kampf im Himmel." Die Angesprochen senkten die Köpfe.
"Deshalb entscheide ich: Gabriel wird sich nie nie wieder Luzifer auf mehr als drei Metern nähern! Dies gilt solange, bis ich einen Befehl gebe, der dies außer Kraft setzt!" Gabriel sackte zusammen. "Endlich zeigt ihm jemand seine Grenzen." Luzifer grinste Gabriel an. "Grinse nicht so Luzifer! Du bist nun zum wiederholten Mal schlecht aufgefallen. Ich muss dich zum Wohle der anderen verbannen. So sollst du auf der Erde dein ewiges Leben fristen, doch wirst du weder Mensch noch Engel sein.
Nenne dich wie du willst und geh wohin du willst, nur der Himmel wird dir ab jetzt verschlossen bleiben! Geh!" Luzifer war sprachlos. Gabriel soll mit so einer läppischen Strafe davon kommen und er wird gleich verbannt? Mürrisch und enttäuscht stieg Luzifer auf die Erde hinab. Wo bleibt bei so einer Entscheidung denn noch die Gerechtigkeit? "Im Himmel war es mir sowieso zu kalt!"

© 2000 by Diana Eschler