Mel I

Mel hielt es nicht mehr aus. Seit Luzifer sich einfach verabschiedet hatte, strömten immer wieder die Seelen der Toten in die Höhle. Vorher war sie geräumig und lag in friedlicher Stille unter dem Berg. Nun aber kreischten und flogen tausende Geister in der Höhle herum und füllten jeden Zentimeter aus. Mel fand keinen Schlaf mehr, der Lärm raubte ihr diesen und dazu auch noch den letzten Nerv.

"Ruhig Mel, ganz ruhig. Denk nach, wie du dieses Ärgernis aus dem Weg schaffst!" Sie ließ ihrer Phantasie freien Lauf, aber ihr wollte nichts, aber auch gar nichts einfallen. Plötzlich fiel ein Schatten auf sie. Azrael schaute sie sanft an. Er schien sich überhaupt nicht an den umherschwebenden Geistern zu stören.

"Was tust du denn hier? Ich dachte, du musst den Menschen beim Sterben zur Hilfe gehen." "Nun, ich wollte dir helfen." "Ich brauche keine Hilfe!", konterte Mel genervt. "Ich sehe das anders.", wider-sprach Azrael, "Du musst lernen mit deinen ungebetene Gästen zu leben und kannst du das nicht, solltest du vielleicht einen Platz finden, um sie dorthin zu verbannen." "

So wie du, nicht wahr?... sag mal, wie hat es eigentlich dein Gott aufgenommen, dass er nicht mehr viel Besuch im Paradies bekommt?" Azrael fing an zu schwit-zen. Diese kleine Hexe schien zu wissen, dass er viel Ärger bekommen hatte. Besonders Gabriel hatte auf ihm herumgehackt. Wenn sie nicht so verdammt schön gewesen wäre, hätte er die Wette nie angenommen. Aber nun war er ihr eben verfallen. "Ich würde mit einen Zauberspruch eine zweite Höhle erschaffen und sie dort versauern lassen.", wich er ihr aus. Verlegen malte Azrael Bilder mit seiner Sense in den Boden während Mel seinen Vorschlag überdachte. Die Pause zwischen ihnen zog sich hin, bis ins Unerträgliche. Kurze Zeit später entschuldigte Azrael sich unter dem Vorwand an die Arbeit zu müssen. Mel winkte ihm hinterher und machte sich an die Arbeit. Zuerst schrieb sie in ungelenker Schrift den erdachten Spruch auf, um auch nichts falsch zu machen.

Dann konzentrierte Mel ihre innere Kraft auf das Geschriebene und sagte die Wörter langsam auf. Sie spürte, wie sich die Kraft aufbaute, sich bündelte und immer stärker wurde. Und stärker und stärker. Zu stark! Mel schrie auf und entließ den Zauber. Die darauffolgende Explosion entließ sie gnädiger-weise in eine kurze Ohnmacht. Als sie mit dröhnenden Kopfschmerzen wieder erwachte, traute sie ihren Augen nicht. Die Höhle war immer noch voller Geis-ter und mitten drin saßen auf dem Boden drei kleine Gestalten. Sie sahen alle gleich aus, schwarzes, kurzgelocktes Haar rahmte jungen-hafte Gesichter. Sie sahen wie kleine Menschenkinder mit vielen Dummheiten im Kopf aus, nur das sie zusätzlich auch noch zwei klei-ne Hörner auf dem Kopf und einen Schwanz, wie bei einem Kalb, hatten. Mel schaute sie verdutzt an. Sie schauten Mel verdutzt an. "Bist du unsere Mama?" "Häh?" Mel war mit den Nerven am Ende. Sie hatte gerade drei Wesen erschaffen, das hätte sie sich erst einmal nicht zugetraut und zweitens wusste sie nicht, ob sie mit ja oder nein antworten sollte. Aber das brauchte sie gar nicht. Die drei standen mit wackeligen Beinen auf und schwankten zu Mel um ihr in den Schoß zu fallen und es sich gemütlich zu machen. Sofort kamen bei Mel mütterliche Gefühle auf, warum sollte sie nicht die drei aufziehen und in Luzifers Dienst stellen. Das müsste ihr ein paar Pluspunkte einbringen. "Wie heißt ihr drei eigentlich?" Die drei schauten sie empört an. "Also wirklich", begann der eine, "Ich dachte, dass wüsstest du. Mein Name ist Mephistopheles und das sind meine Brüder Lephis-topheles und Sephistopheles. Und du bist unsere Mutter?" Mel schüttelte den Kopf. "Nein, ihr habt keine Mutter. Ich heiße Mel und werde mich um euch kümmern. OK?" Die drei grinsten sie zufrieden an und kuschelten sich an Mel. Sie seufzte.

Jetzt hatte sie zwar Gesellschaft, aber ihr eigentliches Problem war nicht gelöst. Noch immer schwirrten die Seelen der Verdammten um sie herum. Mephisto blickte auf und runzelte die Stirn. "Was hast du?" "Ich will einen großen Zauber ausführen, aber er gelingt mir nicht und ein zweites Mal möchte ich nicht so eine Explosion erleben." "Dann helfen wir dir!", schlug Le-phisto vor, was sofort großen Beifall bei seinen Brüdern fand. Nicht aber bei Mel. Die drei waren doch viel zu klein und unerfahren ... "Ich halte das für keine gute Idee. Ihr geht jetzt und lasst mich meine Arbeit machen!" Die drei Teufelchen schauten Mel mit großen Augen an. "Das war ein Befehl!" verdeutlichte Mel. Langsam und widerwillig trollten sich die drei. Mel wandte sich wieder ihrem Problem zu. Diesmal skizzierte sie ihre Vorstellungen auf ein Blatt und ließ ihren Wunsch in Geist Gestalt annehmen. Dann baute sie die Magie langsam in sich auf. Mel achtete jetzt darauf nicht zu schnell nachzugeben, doch auch diesmal verschätzte sie sich. Die Magie staute sich mehr und mehr auf und drohte ihren Körper zu zerreißen, der Schmerz wuchs ins Unertragbare und Mel sah schon ihr letztes Stündchen gekommen, als sechs kleine Hände die ihren fassten und Mel den Druck nahmen. Sie schaute auf die anhänglichen Wesen, denen sie ihr Leben verdankte ... und die eine tüchtige Strafe erwartete, weil sie ihren Befehl missachtet hatten. (Aber davor hatten sich die drei eine Belohnung verdient.) Gemeinsam verbunden, konnte Mel den Magiestrom in die richtige Richtung lenken und die geplante untere Höhle erschaffen samt Verbannungszauber, der die lästigen Seelen in ihre Schranken wies.

Müde ließen sich alle nieder um auszuruhen. "Ich werde euch wohl ein Zimmer einrichten müssen.", meinte Mel, "aber vorher essen wir etwas. Danach," fügte sie streng hinzu, "werdet ihr in eine Ecke gehen und nachdenken, ob ihr nicht etwas falsch gemacht habt, als ihr mein Befehl missachtetet." Seufzend erhoben sich die drei. Das soll einer verstehen. Aber die drei gehorchten brav. Mel schaute ihnen nach und dachte über ihre Situation nach. Mit den drei als Gesellschaft wird ihr wohl nie langweilig werden, aber ihr Luzifer schien sie verges-sen zu haben. Sie konnte hier in dieser Höhle zwar die Zeit nicht er-fassen, aber nach der beträchtlichen Anzahl an Seelen kann man zu zwei Schlüssen kommen: Entweder ist die Welt da draußen völ-lig verkommen und schlecht oder es ist schon eine sehr lange Zeit vergangen. Mel tendierte eher zum letzteren. Sie hoffte nur für Luzifer, schnell zurückzukehren. Es war genug Zeit vergangen um Mel erkennen zu lassen, das sie Luzifer zwar liebte und mit ihm schlafen wollte, aber ihre große Liebe war er nicht. Ihr Verhältnis würde sie bei seiner Rückkehr neu definieren und DARAUF freute sie sich schon ... "Mel, wir haben Essen gemacht!" Mel schreckte aus ihren Gedanken. Die drei hatte sie fast vergessen. Scnell ging sie zu ihnen und war sprachlos. Sie hatten Schlammkuchen gemacht und waren gerade dabei diesen zu verzerren. Kurzer Hand verwandelte Mel den "Kuchen" in genießbares. Es schien, als wären die Teufelchen intelektuell wie kleine Kinder. Das scheint richtig in Arbeit auszuarten, aber Mel scheute diesmal nicht davor zurück. Es wurde sowieso Zeit, etwas Ordnung in ihr Leben zu bringen. Der Dienst bei Luzifer war der Anfang, nun wird sie sich eine Zukunft aufbauen mit einer Familie.
Und sie wusste schon genau, wer der ideale "Vater" für ihre Teufelchen sein wird ...

© 2000 by Diana Eschler